Meine Familie nennt mich „Der Morgenmuffel“.

Diese Bezeichnung mag mir vielleicht nicht gefallen, schmeichelt sie nicht wirklich meinem Charakter, allerdings kann ich dem Wahrheitsgehalt schwerlich widersprechen. Es ist nicht sinnvoll mich morgens anzusprechen, wenn man einen vollständigen Satz Antwort erwartet. Nach der ersten Tasse Kaffee, übernimmt das Über-Ich langsam das Steuer und sperrt das miesepetrige Es zurück in die Tiefen meiner morgendlichen Unlust.

Mit Bewunderung identifiziere ich den Lärm im Badezimmer als Gesang und das Geschrei aus dem Kinderzimmer als Gelächter. Es gibt sie, die glücklichen Menschen, die morgens die Augen öffnen und dem Tag mit Freude entgegeneilen. Ich lebe mit dieser Spezies unter einem Dach. Geballte Fröhlichkeit versus konzentrierter Übellaunigkeit. Der Stoff aus dem Thriller gemacht werden, jeden Morgen aufs Neue.

Das werde ich ändern. Ich bin schließlich Herr meines Willens, eine Tatsache, die mir den Erfolg garantiert. Recherchen zu diesem Thema haben mich zu folgendem Ergebnis geführt: Mindestens 60 Sekunden den Mund zu einem breiten Lächeln verziehen. Es werden dadurch Muskeln stimuliert, die dem Gehirn vorspielen, glücklich zu sein, wobei sich dann die gute Laune von ganz alleine einstellt.

Das erscheint mir nicht nur plausibel, sondern auch einfach umsetzbar, und ich beschließe diesen Tag zum Ersten meines zukünftig fröhlichen Seins zu ernennen.

Schnell wird mir klar, dass die Schwierigkeit darin besteht 60 Sekunden durchzuhalten. Als chronischer „Ungern-Dauerlächler“ scheint eine Minute endlos und damit nicht erreichbar. Die gestreifte Grinsekatze aus Alice im Wunderland kommt mir in den Sinn, eine der Figuren des Romans, die mir besonders unsympathisch sind.

Ich habe nicht vor aufzugeben und nutze den Tag, um mich im Lächeln zu üben. Abends ergebe ich mich erschöpft und mit schmerzendem Gesicht dem Schlaf.

Der nächste Morgen lässt sich nicht aufhalten, ich öffne die Augen, mein Blick fällt auf einen Zettel, der krakeligen Schrift nach geschrieben von der jungen Spezies glücklicher Mitbewohner.

„Bitte hör auf ständig zu grinsen, du bist gruselig. Bleib so wie du bist. Wir haben dich lieb. Kaffee steht in der Küche.“

Irgendwie ist die Grinsekatze doch ganz nett denke ich, und mein Mund verzieht sich von ganz allein.

©Alexandra Mazar