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Als Mutter und Autorin, oder auch andersherum, lege ich ­––großen Wert auf eine umfassende schulübergreifende Bildung meiner Kinder. Das beinhaltet sowohl die Heranführung an die gehobene Literatur, also alles, was über »Gregs Tagebuch« und andere Comic-Romane hinausgeht, als auch der ein oder andere Besuch im Museum, Theater oder einer Ausstellung. Ich möchte Töchterchen und Söhnchen die Kunst näherbringen, die Liebe dazu quasi einpflanzen, und das ist mir auch gelungen.

Gelungen im Sinne von »nicht immer, aber meistens oder zumindest doch ab und zu.«

Die Bretter, die die Welt bedeuten, mögen betreten werden und wir reisten fortan durch die Welt der modernen Inszenierungen, bis ans Ende unserer Tage … Dürrenmatts »Die Physiker« wurden klaglos von Söhnchen hingenommen, ich sah sogar dann und wann ein Lächeln sein Gesicht erhellen, und da wusste ich es: Dieser Ausdruck reiner Freude möchte öfter zum Vorschein kommen.

Ich bin schließlich Mutter, kann die Vorlieben meiner Kinder erspüren, da muss nicht wirklich darüber gesprochen werden, es ist reine Intuition. Goethes »Die Leiden des jungen Werthers« begeisterte Söhnchen besonders, warf ein gut angezogener Werther doch »Werther’s Echte«-Bonbons in das Publikum und Söhnchen bewegte sich blitzschnell und sicherte sich einen Vorrat Süßigkeiten für die gesamte Dauer des Stückes.

Kafkas »Verwandlung« stand ebenso auf dem Plan wie »Endstation Sehnsucht«. Tennessee Williams Stück ließ das Publikum einen wirklich langen Blick auf nackte Brüste werfen, die für Menschen mit Sehproblemen auf einer Leinwand stark vergrößert wurden, und Söhnchen meinte danach, das wäre das Verstörendste gewesen, was er jemals gesehen habe. Ein kleiner Rückschritt, ein Wehrmutstropfen. Neues Stück, neues Glück, heißt es da. Was liegt näher, dem sechzehnjährigen Söhnchen, der eine neue Sprache basierend auf Grunzlauten entwickelt hat, Shakespeare vorzustellen? Ich referierte über die Liebe, beschwor die Romantik als das Gefühl überhaupt und Romeo und Julia als das ultimative Liebespaar. Söhnchen war interessiert, die Premiere lockte und wir saßen in der ersten Reihe.

Was soll ich sagen: Söhnchen war begeistert, ob das an der Zombieeinlage und dem folgenden blutigen Festmahl der sehr modernen Inszenierung lag oder an einer schönen Julia oder an Shakespeares Worten, kann ich nicht mit Sicherheit sagen. Doch seine Augen blitzten und die Balkonszene, mittelleicht abgewandelt, war romantisch, und als Julia auf der Bühne von Schmerz gebeutelt zusammenbrach, tat sie das direkt vor Söhnchen und warf ihm, ganz Julia, einen langen Blick zu.

Alles richtig gemacht! Ich bin vielleicht nicht Mutter des Jahres, aber auf dem Weg dorthin! Kunst und Jugend, das passt doch prima, da braucht mir niemand etwas anderes erzählen.

©Alexandra Mazar

Bei dem Foto handelt es sich um eine Aufführung: Romeo und Julia, am Schauspiel Frankfurt.
Mit freundlicher Genehmigung.