Das Leben ist ein Entwicklungsroman

und/oder ein Thriller, das Leben allgemein. Meines im Besonderen. Jetzt mag der geneigte Leser anmerken, dass ich mich in einer komfortablen Situation befinde, da ich schreibend in beide unterschiedlichen Genre eintauchen kann und diese Annahme ist richtig. Alles könnte so entspannt sein, wären da nicht die Mitbewohner. Mehr oder weniger liebevoll auch Störenfriede oder Monster genannt.

Purer Thrill

Ich beobachte Söhnchen, der morgens an seinem Brötchen kauend mit nachdenklichem Blick aus dem Fenster starrt. Aus mir unerfindlichen Gründen stellen sich die Haare an meinen Armen auf und ein Schauer läuft über meinen Rücken. Irgendetwas braut sich da zusammen und ich werfe instinktiv den Blick zur Tür, die Entfernung und Zeit abschätzend die ich bräuchte um zu verschwinden. Keine Chance, Söhnchen wendet sich mir zu, nimmt noch einen großen Bissen bevor er mich fragt, wie es sich denn so in zwei Welten leben würde als Schriftstellerin. Ich staune und bin beeindruckt, weiß ich doch, dass in der Pubertät besonders der orbitofrontale Cortex bei der männlichen Gattung pubertierender Monster weniger durchblutet wird. Diese nicht unwichtige und gefühlsmäßig undurchblutete, wahrscheinlich sogar blutleere Region des Gehirns, ist für die Gefühlswelt und angemessenes soziales Verhalten zuständig. Ich beobachte abwartend meinen kauenden Sprössling. „Ich meine ja nur“, er nimmt einen Schluck Tee, „wenn du schon über Tote schreibst, also über das Umbringen, fühlst du das dann so richtig?“ Meine schlagfertige Antwort formt sich aus meinem Mund als „Ähm“ und lässt meinen Sohn nur kurz innehalten. „Ja, ich weiß was du sagen willst, Mutter, schon gut. Aber sag mal, wen willst du denn umbringen?“ Er zwinkert mir zu. „Du kannst es mir ruhig sagen, in der Familie hält man ja zusammen. Ich hätte das Buch ja gerne gelesen, doch ich darf ja nicht. Aber echt, spritzt das Blut? Wen stellst du dir dann vor? Papa, wenn er dich nervt?“

Leichter Schwindel steigt in mir auf

und ich ziehe den Stuhl in meine Richtung. Mir war nicht klar, dass meine Thrillerschreiberei solche Gedanken lostreten können. Gewalt als lösungsorientierter Ansatz? Mord und Todschlag als Gesprächsgrundlage morgendlicher Frühstückszusammenkünfte? Welche Auswirkungen mag das auf Söhnchens Zukunft haben? Seine Laune scheint heute außerordentlich sonnig zu sein, das komplette Gehirn augenscheinlich stark durchblutet. Ein Sinnbild tadelloser Kommunikation. Er wirft einen gelangweilten Blick auf die Uhr, stöhnt „Ich bin spät dran!“, und schlendert an mir vorbei. „Bist schon cool Mutter!“

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Auf mein schnelles Nachfragen, ein Kompliment vom eigenen Kind ist so selten wie eine Oase in der Wüste Gobi, bekomme ich nur ein Grunzen, die Haustüre öffnet und schließt sich, und ich bleibe zurück. Ich greife nach meiner Kaffeetasse und nehme einen großen Schluck. Also hat das Schreiben von Thrillern auch sein Gutes, denke ich. Es macht cool und scheint direkt die Durchblutung des Cortex der pubertierenden Verwandtschaft anzuregen. Dann bleibe ich halt dabei.

©Alexandra Mazar